Ökologische Kipppunkte: Wenn die Natur aus dem Gleichgewicht gerät | Teil 2

Matthias Reichhart
vor 1 Woche4 min. Lesezeit

Deutschland im Kontext der planetaren Grenzen

Das Konzept der planetaren Grenzen beschreibt einen sicheren Handlungsraum für die Menschheit. Entwickelt wurde es von einem internationalen Forschungsteam um Johan Rockström. Neun ökologische Belastungsgrenzen markieren, wie viel Druck die Erde verträgt, ohne in instabile Zustände abzurutschen. Deutschland überschreitet mehrere dieser Grenzen deutlich, und die Warnungen der Wissenschaft sind eindeutig.

Beim Klimawandel genügt ein Blick auf die Zahlen. Der jährliche Pro-Kopf-Ausstoß liegt hierzulande bei rund acht Tonnen Kohlendioxid. Nachhaltig wäre ein Wert zwischen ein und zwei Tonnen. Auch beim Artenverlust steht Deutschland schlecht da. Mehr als dreißig Prozent aller Tier- und Pflanzenarten gelten als gefährdet oder sind bereits verschwunden. Die Kreisläufe von Stickstoff und Phosphor geraten durch intensive Landwirtschaft aus dem Lot. Und die tägliche Flächenversiegelung von mehr als fünfzig Hektar entfernt das Land weiter vom Ziel einer verantwortungsvollen Bodennutzung. Das Umweltbundesamt kam bereits 2023 zu dem Schluss, dass Deutschland bei sechs der neun planetaren Grenzen im kritischen Bereich liegt. Die damalige Bundesumweltministerin Steffi Lemke betonte, dass es sich nicht um abstrakte Modelle handele, sondern um reale ökologische Belastungsgrenzen, die ernst genommen werden müssten.

"Die planetaren Grenzen sind keine theoretischen Konstrukte, sondern harte ökologische Realitäten. Deutschland muss seinen Beitrag leisten, um innerhalb dieser Grenzen zu wirtschaften."

Steffi Lempke, ehemalige Bundesumweltministerin

Was jetzt notwendig ist

Politik

Die Politik steht vor der Aufgabe, die Weichen neu zu stellen. Dazu gehören ambitioniertere Klimaziele und eine konsequente Umsetzung auf allen Ebenen. Die Wirtschaft soll stärker in Richtung Kreislaufwirtschaft ausgerichtet werden, damit Ressourcen künftig häufiger wiederverwendet werden. Auch die Kosten, die Umweltverschmutzung verursacht, müssen realistischer in Produkten und Dienstleistungen berücksichtigt werden. Renaturierungsprojekte in Mooren, Wäldern und Auen können als natürliche Kohlenstoffspeicher wirken und zugleich Lebensräume stabilisieren. Und ohne internationale Kooperation wird kein Land die Klimakrise allein bewältigen können, weshalb Klimafinanzierung und Technologietransfer weiter an Bedeutung gewinnen.

Unternehmen

Auch die Wirtschaft steht in der Verantwortung. Unternehmen können ihre Ziele an wissenschaftsbasierten Klimapfaden ausrichten, die gesamte Lieferkette genauer in den Blick nehmen und umweltbezogene Risiken offenlegen. Innovationen, die Ressourcen schonen und Emissionen mindern, werden immer wichtiger.

„Wir brauchen nicht weniger als eine große Transformation unserer Wirtschafts- und Lebensweise. Es geht nicht um kleine Anpassungen, sondern um einen Systemwandel, der Wohlstand innerhalb der planetaren Grenzen ermöglicht.“

Prof. Dr. Maja Göpel, Transformationsforscherin und ehemalige Generalsekretärin des wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung

Kommunen

In Städten und Gemeinden entscheidet sich, ob nachhaltige Lebensräume entstehen. Klimaneutrale Stadtentwicklung umfasst energieeffiziente Gebäude, erneuerbare Energien und eine Mobilität, die Umwelt und Gesundheit schont. Grünflächen, Parks und entsiegelte Flächen verbessern das Mikroklima und fördern die Artenvielfalt. Kommunen profitieren zudem von Beteiligungsprozessen, die Bürgerinnen und Bürger aktiv einbeziehen sowie lokale Lösungen stärken.

Individuelle Beiträge

Auch das Verhalten im Alltag spielt eine Rolle. Ein bewussterer Konsum senkt den ökologischen Fußabdruck. Wer öfter zu Fahrrad, Bahn oder Carsharing greift, entlastet Umwelt und Städte. Eine Ernährung mit weniger Fleisch sowie mehr regionalen Produkten reduziert Treibhausgase und schont natürliche Ressourcen.

Ein Fazit, das kaum deutlicher sein könnte

Die wissenschaftliche Einschätzung ist eindeutig. Die Menschheit bewegt sich an einem historischen Wendepunkt. Mehrere Kipppunkte könnten überschritten werden, wenn der globale Ausstoß von Treibhausgasen nicht rasch sinkt.

Zukunftswerk unterstützt Unternehmen, Kommunen und Organisationen dabei, einen Weg innerhalb der planetaren Grenzen zu finden. Wir kombinieren wissenschaftliche Erkenntnisse mit praxisnahen Strategien, damit Nachhaltigkeit zur Grundlage von Entscheidungen wird. Die Herausforderungen sind groß, doch der Handlungsspielraum ist noch vorhanden. Jetzt ist der Moment, den Wandel aktiv zu gestalten. Wenn Sie Unterstützung benötigen, begleiten wir Sie gerne auf diesem Weg.

"Wir haben keine Zeit mehr für Verzögerungen oder halbherzige Maßnahmen. Die Kosten des Nichthandelns übersteigen bei weitem die Kosten des Klimaschutzes. Jetzt zu handeln ist nicht nur ökologisch geboten, sondern auch ökonomisch vernünftig."

Prof. Dr. Ottmar Edenhofer, Direktor des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC)