Wälder zurück zur Natur: Nina Schönemann von Klimapartnerschaft.at über Wildnisflächen und Klimaschutz

Matthias Reichhart
vor 2 Wochen5 min. Lesezeit

Europa hat sich ehrgeizige politische Ziele gesetzt, um der Natur die Möglichkeit zu geben, sich zu erholen und zu gedeihen, während die Gesellschaft von einer gesunden Umwelt profitiert. Flächen, die von menschlicher Nutzung befreit werden und sich wieder in Wildnis verwandeln dürfen, leisten einen wichtigen Beitrag zum Artenschutz, zur Wiederherstellung der Biodiversität und zum Klimaschutz. Dennoch ist der Bedarf an solchen Gebieten weiterhin groß.

Die Initiative Klimapartnerschaft.at entzieht Waldflächen der kommerziellen Nutzung und gibt sie dauerhaft der Natur zurück. Wir haben mit Nina Schönemann gesprochen, um mehr über dieses Konzept zu erfahren.

Liebe Nina, mit der Klimapartnerschat.at sorgt Ihr dafür, dass Waldflächen wieder der Wildnis zurückgegeben werden. Aus welchem Grund habt Ihr dieses Projekt gestartet?

Die Natur liefert uns alles, was wir zum Überleben brauchen: Frische Luft zum Atmen, sauberes Wasser zum Trinken, ein mildes Klima und noch vieles mehr. Ökosysteme sind allerdings extrem komplexe Systeme. Das bedeutet, dass selbst wenn wir mit den besten Absichten eingreifen, verändern wir die ablaufenden Prozesse und es entstehen unbeabsichtigte Nebeneffekte, die katastrophal sein können. Die effektivste Lösung ist es, der Natur die Voraussetzungen zu bieten, dass sie sich aus eigener Kraft wieder regenerieren kann.

Aus diesem Grund wurde die Klimapartnerschat.at gegründet, um gemeinsam Wälder langfristig der Natur zurückzugeben.

In Österreich gelingt es erfolgreicher als in Deutschland, Gebiete der land- bzw. forstwirtschaftlichen Nutzung zu entziehen. Was machen die österreichischen Akteure anders oder besser als ihre deutschen Kollegen?

Es ist nirgendwo einfach Flächen der Natur zurückzugeben, aber auch nirgendwo unmöglich. Österreich hat mit den Alpen zum Teil steiles Gelände und damit andere Voraussetzungen für die Bewirtschaftung. Die Wälder in Deutschland sind deshalb viel schwerer von Borkenkäferbefall und Dürre betroffen, wodurch sie stärker unter Druck stehen. Ich denke aber, dass es für Grundeigentümer überall eine sehr innovative Lösung sein kann, ihren Wald nicht nur forstlich zu nutzen, sondern zumindest auf einem Teil der Fläche Zahlungen für die Bereitstellung von Ökosystemleitungen zu erhalten.

Nina Schönemann

"Die Wildnis bietet uns weit mehr, als wir auf den ersten Blick erkennen. Wir Menschen stammen ursprünglich aus der Wildnis, und jede Zelle in unserem Körper trägt diese Erinnerung in sich. Diese Verbundenheit spüren wir nicht nur emotional, wenn wir uns in der Natur aufhalten – der positive gesundheitliche Effekt lässt sich sogar wissenschaftlich messen."

Nina Schönemann

Wie interpretiert die Klimapartnerschaft.at den Begriff ‚Wildnis‘, und welche Sichtweise vertrittst Du bezüglich der Idee, dass die Natur vollständig sich selbst überlassen wird?

Wildnis bedeutet, dass der Mensch sich aus genutzten Gebieten zurückzieht und die natürlichen ökologischen Prozesse wieder Raum erhalten. Dazu gehören etwa das Entstehen von Totholz, das Wachstum großer und alter Bäume sowie langfristige Symbiosen zwischen verschiedenen Organismen. Diese natürlichen Prozesse bilden die Grundlage für die Vielfalt an Lebewesen und tragen wesentlich zur Stabilität der Ökosysteme bei. Wenn Bäume nicht gefällt werden, bleibt der Kohlenstoff, den sie aus der Atmosphäre aufnehmen, für Jahrhunderte gespeichert. Dadurch können unbewirtschaftete Wälder sehr effektiv CO₂ binden und helfen, den Klimawandel abzuschwächen.

In der Waldwildnis regeneriert sich das Bodenleben, da keine schweren Maschinen den Boden verdichten. Gleichzeitig verbessert sich die Vernetzung über Mykorrhizapilze, was jeden einzelnen Baum stärkt. Das im Totholz gespeicherte Wasser wird nur langsam freigesetzt, was sowohl Nährstoffe im Boden erhält als auch Hochwasser abmildert.

Darüber hinaus fördern Pilzsporen in der Luft die Regenbildung, und die Verdunstung von Feuchtigkeit senkt die Umgebungstemperatur. Diese Mechanismen zeigen, wie stark die (Wald-)wildnis das Klima positiv beeinflussen kann.

Die Wildnis bietet uns weit mehr, als wir auf den ersten Blick erkennen. Wir Menschen stammen ursprünglich aus der Wildnis, und jede Zelle in unserem Körper trägt diese Erinnerung in sich. Diese Verbundenheit spüren wir nicht nur emotional, wenn wir uns in der Natur aufhalten – der positive gesundheitliche Effekt lässt sich sogar wissenschaftlich messen.

Sowohl Privatpersonen als auch Unternehmen haben die Möglichkeit, sich aktiv am Projekt Klimapartnerschaft.at zu beteiligen und dabei zu helfen, neue Flächen in den Zustand der Wildnis zurückzuführen. Für nur 1,20 € pro Quadratmeter können Privatpersonen durch Spenden und Unternehmen über Sponsorings Flächen dauerhaft aus der Nutzung nehmen lassen. Diese Spenden können ganz unkompliziert über unsere Webseite (www.klimapartnerschaft.at) abgewickelt werden. Unternehmen, die sich für ein Sponsoring entscheiden, erhalten je nach Beitrag spezielle Gegenleistungen, und in jedem Fall kann die CO₂-Kompensationsleistung angerechnet werden.

"Es gibt allerdings zahlreiche Möglichkeiten, in verschiedenen Regionen Österreichs geeignete Flächen zu schützen. Wenn ausreichend Interesse besteht, könnten wir auch in Nachbarländern neue Partnerschaften eingehen und weitere Flächen in Wildnis umwandeln."

Nina Schönemann

Die ersten Erfolge bei der Rückführung von Waldflächen in Wildnis sind bereits sichtbar. Welche Ziele und Pläne habt Ihr für die Zukunft?

Die Klimapartnerschaft.at wurde von der Schutzgebietsverwaltung des Wildnisgebiets Dürrenstein-Lassingtal ins Leben gerufen – einem Schutzgebiet, das den letzten Urwald der Alpen beherbergt. Unser vorrangiges Ziel ist es, angrenzende Flächen in den Schutz einzubeziehen, um das bestehende Wildnisgebiet zu erweitern. Zudem schaffen wir sogenannte „Trittsteine“, die Verbindungen zu den nahegelegenen Nationalparks Kalkalpen und Gesäuse herstellen.

Es gibt allerdings zahlreiche Möglichkeiten, in verschiedenen Regionen Österreichs geeignete Flächen zu schützen. Wenn ausreichend Interesse besteht, könnten wir auch in Nachbarländern neue Partnerschaften eingehen und weitere Flächen in Wildnis umwandeln.